Meine Gedanken zum Artikel im Tagesanzeiger vom 10.03.2021: Neuer Therapie-Ansatz
Sehr aufschlussreicher Tagi Artikel vom 10.03.2021
Neuer Therapie-Ansatz macht Long-Covid-Betroffenen Hoffnung
Ein Krankenhaus in New York hat erste Erfolge mit Patienten erzielt, die noch Monate nach einer Corona-Infektion unter Herzrasen oder Erschöpfung leiden.
Andreas Frei, Publiziert 10.03.2021 um 17:24 Uhr
Mit Long Covid, lang anhaltenden Auswirkungen einer Covid-19-Erkrankung, sind viele Betroffene nur noch beschränkt leistungsfähig, selbst nach milden Verläufen.
Über ein Jahr nach den ersten Ansteckungen mit Sars-CoV-2 in Europa und Nordamerika sind die Spätfolgen der Erkrankung vielen Ärztinnen und Ärzten, aber auch den Betroffenen noch immer ein Rätsel (lesen Sie dazu die Resultate der Schweizer Studie: «Ein grosser Teil der Infizierten kann Langzeitfolgen entwickeln»). Das Krankenhaus Mount Sinai in New York hat sich deshalb der Erforschung dieses Long-Covid-Syndroms verschrieben – Spezialisten aus allen Fachbereichen untersuchen dort Patientinnen und Patienten, die freiwillig mitmachen. Für die meisten Personen mit langanhaltenden Folgen ist es die letzte Hoffnung nach einem Spiessrutenlauf durch Praxen, Spitäler und Untersuchungen ohne Resultate.
Die Personen haben Herzrasen bei kleinsten Anstrengungen, leiden unter chronischer Erschöpfung und können sich kaum noch selber versorgen. Sie scheinen von den Werten her aber gesund, die westliche Medizin hat keine Erklärung für die Erkrankung, erklärt Dayna McCarthy, eine Rehabilitationsspezialistin und führende Ärztin am Mount-Sinai-Krankenhaus. Sie litt selber an Long Covid, wie auch andere Ärztinnen und Ärzte, welche die Symptome aus eigener Erfahrung kennen und den verzweifelten Hilfesuchenden deshalb Glauben schenken.
Nichtbetroffene denken eher einmal, es sei wohl nicht so schlimm und die Person solle sich zusammenreissen, schliesslich ist nichts nachweis- oder sichtbar. «Unser Gesundheitssystem ist nicht für solche Fälle ausgelegt», erklärt McCarthy im Magazin «The Atlantic». Die westliche Medizin arbeite mit Scans, Proben, Untersuchungen; werde nichts angezeigt, dann gebe es auch keine Diagnose.
Hoher Puls und verkleinerte Herzen
Im New Yorker Spital nimmt die Erfschöpfungssymptome der Patientinnen und Patienten ernst, aus eigener Erfahrung, aber auch, weil zusätzliche Kriterien angewendet werden. Wenn schon beim Aufstehen vom Stuhl der Puls auf 180 hochrast, ist etwas falsch im Körper, der normale Puls liegt bei 60 bis 100 Schlägen pro Minute.
Zudem haben die Spezialistinnen und Spezialisten mittels Scans festgestellt, dass die Herzen der Betroffenen kleiner sind als erwartet. Unklar ist, ob vor allem Personen mit kleineren Herzen von Long Covid betroffen sind oder ob die Herzen durch die Erkrankung oder andere Faktoren geschrumpft sind.
Das Mount-Sinai-Krankenhaus war im April 2020 überlastet, als New York das
Epizentrum der Pandemie war. Nun ist das medizinische Zentrum ein Hoffnungsträger für viele Long-Covid-Betroffene.
Am Mount-Sinai-Krankenhaus war durch die Symptome und die Herzauffälligkeit eine Ähnlichkeit zur Dysautonomie augenfällig, wie das Magazin «The Atlantic» berichtet. Unter Dysautonomie versteht man Erkrankungen, welche die Funktion des autonomen Nervensystems (ANS) beeinträchtigen – das ANS wiederum steuert die Körpervorgänge, die nicht bewusst wahrgenommen werden, zum Beispiel Anzahl und Stärke der Herzschläge, Blutdruck oder Atemfrequenz. Die Spezialistinnen und Spezialisten untersuchten deshalb die Hypothese, dass bei gewissen Personen das Coronavirus oder die Immunantwort des Körpers auf die Krankheit das autonome Nervensystem aus der Bahn wirft und Long Covid verursacht.
Entscheidender Faktor: Die Atmung
Für die Therapie griffen sie deshalb auf Erfahrungen mit dem Posturalen Tachykardiesyndrom (Pots) zurück, eine Dysautonomie-Erkrankung mit ähnlichen Symptomen. Bei Pots passt sich der Körper der Schwerkraft nicht an; wenn Personen vom Liegen aufstehen, rast der Puls hoch, es kommt zu Kopfschmerzen, Müdigkeit, Übelkeit, Benommenheit. Eine Verbesserung der Situation kann mit Medikamenten, Ernährungsumstellung und einem langsamen Training erreicht werden. Den Ansatz der leichten Steigerung wählte man nun auch am für die Behandlungen am Mount Sinai.
Der entscheidende Faktor: Die Betroffenen atmen anders und müssen die normale Atmung wieder trainieren.
Mit einigen Patienten hatte man damit Erfolg, andere ertrugen selbst die kleinsten Leistungssteigerungen nicht, wieder andere hatten einen Rückfall, nachdem es ihnen besser ging und sie sich wieder höhere Belastungen zumuteten. Da stiess das Mount Sinai auf einen entscheidenden Faktor: die Atmung. Personen mit Long Covid atmeten flach durch den Mund in den oberen Brustkorb statt durch die Nase und tief ins Zwerchfell, wie das gesunde Menschen machen. Lungenentzündungen oder andere Ursachen der Covid-Erkrankung haben diesen Vorgang verändert, fanden die Ärztinnen und Ärzte heraus.
Atemprogramm der US Navy hilft
Zur Rehabilitation mit Ernährungsanpassung oder Stressmanagement bauten die Spezialisten deshalb ein wissenschaftlich fundiertes Atmungsprogramm auf. Die angewendete Übung wurde von einem Navy-Veteranen entwickelt, damit die körperliche und mentale Leistungsfähigkeit der Soldaten auch in äussersten Stresssituationen nicht beeinträchtigt wird. Der Veteran las von Long Covid und erkannte in den Symptomen eine Ähnlichkeit zu einem niedrigen Kohlendioxid-Wert im Blut, was bei Stress durch Hyperventilation oder flaches Atmen durch den Mund ausgelöst werden kann. Er schlug die Atemübung einem Kollegen im Mount Sinai vor, der die Theorie interessiert aufnahm.
Alle Patientinnen und Patienten hatten niedrige Kohlendioxid-Werte im Blut.
Das Mount-Sinai-Krankenhaus startete einen Aufruf an Freiwillige, am Programm teilzunehmen, und wurde von verzweifelten Long-Covid-Erkrankten regelrecht überrannt. Es handelt sich dabei nicht um eine wissenschaftliche Studie, da keine Kontrollgruppe eingerichtet wurde, dafür war auch keine langwierige behördliche Zulassung vonnöten. Die Forschung konnte sofort beginnen, und die Messwerte zeigten, dass tatsächlich alle zugelassenen Patientinnen und Patienten niedrige Kohlendioxid-Werte im Blut hatten. Mit den Atemübungen machten sie schon in der ersten Woche Fortschritte, und erste Symptome schwächten sich ab.
4 Sekunden einatmen, 6 Sekunden ausatmen
Der Schlüssel zur Long-Covid-Behandlung, realisierten die Ärztinnen und Ärzte, war, das Zwerchfell und das Nervensystem wieder auf ihre normale Funktion zu trainieren. Das löste nicht auf wundersame Art und Weise alle der diversen Symptome der Betroffenen, brachte sie aber an einen Punkt, von dem an die Rehabilitation und der Weg zurück in ein normales Leben beginnen konnte.
Das Programm, das der Navy-Veteran mit seiner Firma Stasis entwickelt hat, ist in der ersten Phase simpel. Es beginnt mit zehnminütigen Atemübungen morgens und abends. Morgens heisst es in dieser ersten Phase: 4 Sekunden einatmen, 6 Sekunden ausatmen. Am Abend: 4 Sekunden einatmen, den Atem 4 Sekunden lang halten, 4 Sekunden lang ausatmen. Für Taucher oder Meditations-Geübte ist beides kein Problem; wer noch nie bewusst Atemübungen gemacht hat, muss aber bereits aufmerksam trainieren, um überhaupt 4 Sekunden lang einzuatmen.
Über vier Wochen steigert sich die erste Phase auf 30-minütige Übungen morgens und abends. In der zweiten Phase wird es danach deutlich komplexer, es geht über mehrere Wochen hin zu 6 Sekunden einatmen, 6 Sekunden Luft halten, 6 Sekunden ausatmen oder 4 Sekunden einatmen, 12 Sekunden halten, 4 Sekunden ausatmen. Die Steigerung erfolgt über zwölf Wochen, und jeweils am Montag stehen Tests an. Neben den Programmen für Long-Covid-Betroffene bietet Stasis auch Stressmanagement-Atemkurse an.
Eigenständigkeit kommt zurück
Viele Teilnehmende des Atemprogramms am Mount Sinai erlebten erstmals nach Wochen oder Monaten eine Verbesserung ihrer Situation, wie sie im «Atlantic»-Beitrag erzählen. Durch die gezielte Nasen-Atmung kann die Herzfrequenz bewusst kontrolliert werden. Schnellt der Puls plötzlich hoch, können die Patientinnen und Patienten ein Überborden mit bewusstem Atmen abfangen. Kurzatmigkeit, Schwindelgefühle oder der Gehirnnebel («brain fog») gingen zurück, die Grundlage war geschaffen, um die nächsten Rehabilitationsschritte anzugehen.
Die 54-jährige New Yorkerin Catherine Busa war kerngesund, als sie im März 2020 am Coronavirus erkrankte. Sie litt monatelang unter Long Covid, bis sie im Januar 2021 endlich in eine New Yorker Spezialklinik konnte.
Für viele der stark Betroffenen ist es bereits ein grosser Fortschritt, wenn sie eigenständig aufstehen, duschen oder essen können. Dies bringt ihnen die Perspektive zurück, um langsam mit Ernährungsprogrammen und weiteren Übungen wieder Leistung aufzubauen (lesen Sie hier, wie der Arzt Gregory Fretz Betroffene behandelt). Das bedeutet für einige eine Rückkehr zum normalen Leben, für einige bedeutet es aber erst, dass sie wieder durch ein Zimmer laufen können, ohne überfordert zu sein.
Die Fachleute des Mount Sinai vermuten, dass noch viele weitere Menschen unter langfristigen Folgen von anderen Viruserkrankungen leiden.
Noch ist den Spezialistinnen und Spezialisten vieles an Long Covid ein Rätsel, sie können nicht erklären, weshalb Therapieansätze bei einigen Patientinnen funktionieren und bei anderen nicht. Es wird erforscht, welche Vorgänge die Krankheit genau auslöst, wieso es auch nach leichten Verläufen zu Spätfolgen kommen kann und weshalb mehr Frauen als Männer betroffen sind, obwohl mehr Männer schwere Corona-Verläufe haben.
Ähnliche Krankheiten ernst nehmen
Neben der Erkenntnis, dass mit den Atemübungen ein erster Schritt gemacht werden kann, bleibt für die Fachleute eine weitere Hoffnung: Dass ähnliche Krankheiten nun ebenfalls ernster genommen werden und vielleicht, wenn Long Covid entschlüsselt werden kann, dies auch anderen Personen mit chronischen Erschöpfungssyndromen oder anderen Ermüdungserscheinungen helfen kann. Die Experten des Mount Sinai vermuten nämlich, dass noch viele andere Viruserkrankungen solche langfristigen Folgen hinterlassen, dies aber unter dem Radar der Medizin läuft und vielen Betroffenen nicht geholfen werden kann.
Bei Sars-CoV-2 waren innert wenigen Monaten Tausende Ärztinnen und Ärzte weltweit plötzlich mit den gleichen Symptomen konfrontiert. Was sonst nicht auffallen würde, weil nur einzelne damit konfrontiert werden, hat die Corona-Pandemie nun in ein globales Scheinwerferlicht gerückt. Noch fehlt aber finanzielle Unterstützung für die Forschung. Die medizinische Ausbildung beschäftigt sich kaum mit ähnlichen Erkrankungen, Ärztinnen und Ärzte wissen zu wenig darüber und können kaum helfen.
Und obwohl Zehntausende betroffen sind, dürfte es für Long Covid nicht um den gleichen Kraftakt wie für die Impfstoffe gehen, denn es geht gleichwohl nicht mehr um die gesamte Bevölkerung, sondern nur noch um einen kleinen Teil, der stark von lang anhaltenden Folgen beeinträchtigt ist. Doch die Zeit drängt, sagen die Spezialisten in New York: Je länger nichts gegen die Erkrankung getan wird, desto länger dauert auch die Heilungsphase.
Im Artikel vom Tagesanzeiger sind viele wichtige Ansätze beschrieben.
Hier meine Gedanken dazu:
Interessant finde ich im Bericht, dass die Herzen der Betroffenen kleiner sind. Denn der Herzbeutel, das Perikard nimmt emotionale Ereignisse als erstes auf, verarbeitet sie und verschliesst (wird enger und kleiner) sich mehr oder weniger, je nach Intensität der Emotion (Krankheit) oder Kapazität eines Menschen, um den augenblicklichen Stress zu bewältigen. Es funktioniert genau wie eine Zelle. Bei innerem oder äusserem Stress zieht sich der Herzbeutel plötzlich zusammen, schützt das Herz und rettet uns das Leben! Je nach Intensität der Anspannung, dauert das Lösen des Herzbeutels länger oder kürzer. Entsprechend geringer ist die Kraft eines Menschen und die Erschöpfung grösser.
Bezüglich Posturalen Tachykardiesyndrom Posturalen, erlebe ich häufig bei (schock)traumatisierten Menschen (was bei Covid entstehen könnte) und bei chronischer Hyperventilation, ein Verlust der Schwerkraft mit all seinen dazugehörigen Symptomen wie Kopfschmerzen, Benommenheit, Übelkeit, Überlebensangst etc. Was auch den niedrigen Kohlendioxid-Wert im Blut erklärt. Stimmt dann wieder der Partialdruck in der Lunge, dann stimmt auch wieder der Partialdruck im Blut. Hier kommt die Buteyko-Schulung als Atemtechnik sehr gut zur Anwendung, welche genau solche Atemprogramme, ganz individuell an den Menschen angepasst, anbietet.
Warum bei einigen Patienten die Therapieansätze, welche im Tagi beschrieben sind, funktionieren und bei anderen nicht, kann ich mir vorstellen, dass einige Menschen so grosse Schwierigkeiten mit dem Atem selbst (bekommen) haben und zu Beginn einer Behandlung gar nicht in der Lage sind mit dem Atemrhythmus zu Arbeiten. Dies könnte erst in einem weiteren Schritt, wenn das Vertrauen in den eigenen Körper, in die Schwerkraft und Muskelkraft wieder vorhanden ist, aufgenommen werden.
So kann es Unterstützend und wichtig sein, all diese wunderbaren Aspekte kreativ mit einzubeziehen: